Maja Schäfer, Personalmarketing & Recruiting der Diakonie Deutschland, veröffentlichte in ihrem Blog www.recruiting2go.de folgendes Gespräch mit Olaf Schurad über die Besetzung von Führungspositionen, Führungskräfte-Gehälter und Qualifizierungsprogramme in der NGD:
Herr Schurad, warum hat Ihr Träger im Gegensatz zu anderen aus der Branche keine Probleme, Führungspositionen zu besetzen?
Wir betreiben seit drei Jahren ein Führungskräfte-Qualifizierungsprogramm. Je zwölf Mitarbeiter aus unseren Einrichtungen, von denen wir wissen, dass sie mehr können und mehr wollen, werden in anderthalb Jahren in vier Kompetenzfeldern fit gemacht. Zu unserem Kompetenzkatalog für Führungskräfte gehören die Kernkompetenzfelder Selbst- und Mitarbeiterführung, Führen in der fachlich-sozialen Arbeit, Werteorientierung und Wirtschaftliches Führen. Jeder Punkt ist genau mit Subkompetenzen und Verhaltensankern beschrieben: Unter „Mitarbeiterführung“ fällt zum Beispiel Konfliktfähigkeit. Eine gute Führungskraft nimmt Konflikte frühzeitig wahr, spricht sie an und sucht nach Lösungen. Sie verhält sich nicht nachtragend und bleibt sachlich, auch wenn sie persönlich betroffen ist.
Besetzen Sie Führungspositionen denn nur intern?
Schon ein bis zwei Jahre, bevor eine Führungsposition frei wird, überlegen wir, wer passen könnte. Durch unser Qualifizierungsprogramm haben wir einen Talentpool aufgebaut, der das vereinfacht. Die Teilnehmenden haben innerhalb unseres Trägers meist schon Erfahrungen in verschiedenen Arbeitsfeldern und verschiedenen Einrichtungen mit jeweils einem ganz eigenen Charakter gesammelt. Viele Positionen besetzen wir daher intern, aber es gibt auch Fälle, in denen wir jemand Externes brauchen. Im Bereich der Werkstätten für Menschen mit Behinderung zum Beispiel, die in vielfältiger Weise mit Wirtschaftsunternehmen kooperieren, kann es sinnvoll aber auch gelegentlich notwendig sein, Führungskräfte mit Erfahrung aus dem Handwerk oder der Industrie einzustellen. Die Leitung einer Werkstatt mit dem Schwerpunkt Elektromontage kann mit einem Ingenieur, der sich mit Elektrotechnik auskennt, besser besetzt sein als mit einem Sozialpädagogen. So finden wir durch Ausschreibungen auch immer wieder externe Experten mit Erfahrung aus dem Bereich der so genannten freien Wirtschaft und der Industrie, die dann idealerweise eine pädagogische Zusatzqualifikation bzw. Erfahrung mitbringen.
Fehlt Führungskandidaten aus den eigenen Reihen nicht oft das betriebswirtschaftliche Know How?
Das „Wirtschaftliche Führen“ ist tatsächlich die Kompetenz, bei der die Teilnehmenden unseres Qualifizierungsprogramms den größten Nachholbedarf haben. Sie sind Pädagoginnen und Pädagogen oder Pflegekräfte, kennen die Soziale Arbeit und können gut mit Menschen umgehen, aber mit BWL, aber auch Recht, Personal- und Organisationsentwicklung, Presse- oder Öffentlichkeitsarbeit hatten sie bisher keine Berührungspunkte. Trotzdem ist es unserer Erfahrung nach sinnvoller, für die Führungspositionen in unseren Einrichtungen Fachleute aus dem sozialen Bereich in BWL fortzubilden als einem Diplomkaufmann von extern zu erklären, wie das Sozial- und Gesundheitswesen funktioniert. Da sind die Defizite viel größer. Außerdem geht es nicht nur darum zu wissen, wie ein Jahresabschluss grundsätzlich aufgebaut ist, sondern wie wir das konkret hier in der NGD anpacken. Fortbildungen von der Stange helfen da nicht. Wer glaubt, man macht einfach ein BWL-Seminar und dann geht’s los, wird nicht weit kommen.
Bedeutet das, dass Management-Quereinsteiger aus anderen Branchen wenige Chancen im Sozial- und Gesundheitswesen haben?
Nicht unbedingt, sie sollten sich nur eher in den Zentralen größerer Träger oder Verbände nach freien Stellen umsehen. Dort brauchen wir Betriebswirte, Juristen oder Ingenieure. Häufig haben Quereinsteiger einen biografischen Anknüpfungspunkt zum sozialen Bereich. So wie ich: Ich war acht Jahre in der Mobilfunk-Branche, habe aber meinen Zivildienst in einer Einrichtung der Behindertenhilfe gemacht und mein Vater war im Bereich der Altenhilfe tätig.
Warum ist das so wichtig? Was unterscheidet die Arbeit im Management unserer Branche von anderen Branchen?
Man hat es nicht mit Produkten zu tun, sondern mit Menschen. Da kann es schon mal vorkommen, dass ein Bewohner einer Einrichtung der Behindertenhilfe den Geschäftsführer herzlich umarmt! Auch unter den Mitarbeitenden und Führungskräften hat man es mit einem besonderen Menschenschlag zu tun. Sie haben ihr eigenes Wertegerüst. Ihnen geht es nicht um rationales, nüchternes Arbeiten. Viele Führungskräfte denken wie ich: Wenn ich schon mehr als vierzig Stunden die Woche arbeite, dann lieber dort, wo ich wirklich etwas bewegen kann, wo meine Arbeit Sinn macht.
Woran erkennen Sie, ob sich ein Mitarbeiter für Ihr Führungskräfte-Qualifizierungsprogramm eignet?
Man sieht früh, wer Lust hat, mehr Verantwortung zu übernehmen. Er oder sie bringt sich engagiert in der täglichen Arbeit ein, übernimmt Projektverantwortung und Sonderaufgaben. Mit dem, was er tut, ist er erfolgreich. Im Jahresgespräch bringt er den Wunsch ein, sich weiterzuentwickeln. Zusätzlich nutzen wir den so genannten Golden Profiler, ein Instrument zur Potentialanalyse. Das ist ein Fragebogen, den jeder Mitarbeiter auf Wunsch durchlaufen kann. Im Auswertungsgespräch werden dann die Stärken und Schwächen benannt und die nächsten Schritte geplant. Schließlich soll es nicht in die falsche Richtung gehen. Manche glauben, sie seien die geborene Führungskraft, weil sie ein Projekt zum Erfolg gebracht haben, dabei sind sie eher fachlich-wissenschaftlich talentiert und sollten lieber Projektverantwortung übernehmen oder promovieren. Wichtig ist uns, langfristig Wege für Mitarbeitende und Führungskräfte zu ebnen und jedem, der sich weiter entwickeln oder neu orientieren möchte, die Vorzüge der NGD mit über 50 Einrichtungen in fast allen Feldern der Sozialen Arbeit aufzuzeigen und ihn auf diese Weise zu binden. Wer 20 Jahre in der Jugendhilfe oder in einer Werkstatt gearbeitet hat, ist häufig dankbar dafür, wenn der Wechsel in einen anderen Arbeitsbereich durch den eigenen Arbeitgeber ermöglicht wird.
Erwarten Sie von den Führungskandidaten räumliche Flexibilität so wie es in der Wirtschaft üblich ist?
Es gibt durchaus Mitarbeiter, die Lust haben, sich innerhalb der NGD räumlich zu verändern – ein Kollege ist kürzlich für eine Führungsposition von Lübeck nach Flensburg gegangen. Doch wenn jemand aus familiären Gründen vor Ort bleiben möchte, haben wir dafür Verständnis und versuchen, auch ihm oder ihr den Weg zu ebnen. Das Idealbild der Flexibilität in der freien Wirtschaft ist bei uns noch nicht angekommen und das ist auch gut so, denn im Sozial- und Gesundheitswesen ist eine Unternehmenskultur, die auf Nachhaltigkeit, Kontinuität und gewachsene Beziehungen ausgerichtet ist, sehr wichtig.
Was halten Sie von dem Trend, sehr junge Mitarbeiter auf Führungspositionen zu setzen – weil sie es mit dem Selbstbewusstsein der Generation Y fordern, aber auch weil niemand anders zur Verfügung steht?
Es ist richtig, dass junge Leute heute andere Ansprüche stellen als früher und traditionelle Hierarchien und Kommunikations- und Entscheidungswege in Frage stellen. Ebenso notwendig ist es, dass sich Unternehmen hier auf eine Art neu erfinden ohne die eigene Unternehmenskultur von heute auf morgen über Bord zu werfen. Wir hatten eine Mitarbeiterin, die richtig ungeduldig wurde, als wir mit unserem Qualifizierungsprogramm noch in der Vorbereitung steckten. Wir haben gemerkt, dass wir uns ranhalten müssen, um ihr etwas bieten zu können, weil sie sich sonst einen anderen Arbeitgeber gesucht hätte. Das Qualifizierungsprogramm ist da ein guter Zwischenschritt. Wir können die jungen Mitarbeiter auf den richtigen Weg bringen, auch wenn klar ist: Mit Ende 20, Anfang 30 ist man noch zu jung fürs Management. Gute Führung braucht Lebens- und Berufserfahrung, denn als Führungskraft stößt man unweigerlich an die eigenen Grenzen. Dann braucht man die Fähigkeit, sich zu reflektieren. Früher war es vielleicht so, dass ein Sozialpädagoge, der lange genug in der Einrichtung war, Einrichtungsleiter werden konnte, auch wenn er beispielsweise nicht gut kommunizieren konnte. Heute achten wir mehr auf eine gute Führungskultur, damit unsere Mitarbeiter zufrieden sind. Das versuchen wir den jungen Leuten zu erklären und dabei als Unternehmen authentisch zu bleiben. Allein durch das Ablegen der Krawatte und die Turnschuhe im Dienst ist nichts erreicht, um für junge Leute attraktiv zu sein.
Was ist mit dem Thema Gehalt, was können wir Führungskandidaten da bieten?
Man muss ehrlich sagen: Bei uns verdienen Führungskräfte weniger als in der freien Wirtschaft, die Rahmenbedingungen und der Refinanzierungshintergrund der Sozialwirtschaft geben hier die Grenzen vor. Gleichzeitig arbeiten sie nicht weniger. Eine Einrichtungsleitung mit 400 Mitarbeitenden kommt mit einer 40-Stunden-Woche nicht aus. Alles ist komplexer geworden, es geht neben dem „Kerngeschäft der Sozialen Arbeit und der Nähe zum Menschen“ heute immer mehr um Betriebswirtschaft, IT, Recht, Immobilienwirtschaft und Öffentlichkeitsarbeit. Allein das Thema Kosten- und Leistungsverhandlungen mit den jeweiligen Kostenträgern nimmt heute aufgrund des zunehmenden Kostendrucks und des Anlegens rein ökonomischer Maßstäbe an die Soziale Arbeit ungleich mehr Raum ein als vor 10 oder 20 Jahren. Klar ist doch aber, dass gemessen an der hohen Führungsverantwortung im sozialen Bereich und der gesellschaftlichen Relevanz unserer Arbeit die Gehälter in der Industrie unverhältnismäßig hoch sind. Es geht doch um die Frage: Was ist wirklich wichtig im Leben? In unserer Branche muss eine Führungskraft zumindest nicht nur funktionieren, sondern sie wird als Mensch gesehen. Wir haben kürzlich einen Ingenieur aus der freien Wirtschaft eingestellt, der nach Jahren voller 60-Stunden-Wochen noch etwas von seinen Kindern mitbekommen wollte, bevor sie ausziehen. So etwas darf man bei uns offen sagen. Insofern ist das Gehalt vielleicht schlechter, aber das Gesamtpaket stimmt.
Das Interview führte Maja Schäfer, Personalmarketing & Recruiting, Diakonie Deutschland